Stressreduziert, kindgerecht, lernmotivierend

von Dr. Dieter Breithecker

Die Ereignisse der letzten Wochen setzen viele Menschen vor neue und vielfältige Herausforderungen. Gleichzeitig regen sie uns auch an, unsere Verhaltens-Perspektiven zu überdenken. So können dank Homeoffice unzählige Arbeitsplätze bestehen und Unternehmen gerettet werden. Das bedeutet aber auch, dass gerade Eltern jetzt vor zusätzliche Aufgaben gestellt werden. Sie sind plötzlich gefordert, ihre Arbeiten mit denen ihrer Kinder zu koordinieren und sie beim Lernen zu unterstützen. Und es ist unklar, wann die Schulen in Deutschland wieder von allen Schülerinnen und Schüler gleichzeitig besucht werden können.

Unser aller Ziel:

Wohlbefinden und weniger Stress Unabhängig von den sich dadurch herauskristallisierenden komplexen Beanspruchungen darf ein Aspekt nicht vergessen werden: Alle, Eltern und Kinder, sollten sich Wohlfühlen. Das heißt, gesundes und stressfreies Miteinander ist die Grundlage für Gesundheit, erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice und motiviertes Lernen der Kinder.

Räume und Einrichtung entscheiden Grundsätzlich sollten unsere Arbeitsräume und Lernräume über eine freundliche und atmosphärische Ausstrahlung wie viel Tageslicht, eine gute Akustik und viele Pflanzen verfügen. Darüber hinaus erfordern Arbeiten und Lernen zu Hause eine ähnliche gesunde Ausstattung an ergonomischen und damit an verhaltensfreundlichen Möbeln, wie sie auch im Büro oder in der Schule erforderlich sind. Denn nicht zuletzt mit den räumlichen Gegebenheiten und dem nun für Lernen und Arbeiten erweiterten mobiliaren Anforderungen entscheidet sich, wie gesund das Leben sich im häuslichen Umfeld gestalten wird.

Anders als wir Erwachsene es vielleicht noch vermittelt bekommen haben, sollte Arbeiten und Lernen zu Hause nicht nur ausschließlich an einem Sitzarbeitsplatz, einer „richtigen Stuhl-Tisch-Kombination“ stattfinden.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass herkömmliche Einrichtungsempfehlungen mit starren Stuhl-Tisch-Kombinationen die körperliche und geistige Entwicklung und Gesundheit nicht optimal fördern oder erhalten. Dauerndes Stillsitzen führt zu Stillstand, auch geistig. Schon von Kindesbeinen an verbringen wir viel zu viel Zeit im Sitzen. Kinder sitzen, ähnlich wie Erwachsene, oft bis zu zehn Stun- den täglich. Aus dieser Sitzträgheitsfalle müssen wir uns befreien. Studien zeigen, dass der Energieumsatz bei ausschließlich passivem Sitzen so gering ist, dass die Risiken für Erkrankungen wie Übergewicht, Diabetes Typ II und Bluthochdruck, Demenz nicht nur im Erwachsenenalter, sondern auch schon bei Heranwachsenden deutlich zunehmen.

Lasst die Kinder doch mal zappeln

Gerade Kinder als „Heranwachsende-wach- sende“ brauchen für die harmonische Entwicklung von Körper, Geist und Seele regelmäßige Positionswechsel und viel Bewegung. In den ersten 11 Lebensjahren ist das besonders wichtig, denn hier können Kinder entwicklungsbedingt – Phase der sensiblen körperlich- geistigen Reifung mit hohem Bewegungsdrang – kaum länger als eine Minute stillsitzen.

Das zu beobachtende „zappelige“ Verhalten der Kinder ist selten ein Krankheitsbild. Im Gegenteil: Das wachsende Gehirn ist ständig auf Impulse von den Sinneszellen des Körpers angewiesen (Muskel-, Bewegungs- und Gleichge- wichtssinn), damit Nervenzellen im Gehirn optimal reifen und sich verschalten können. Bei Jugendlichen mit Beginn der Pubertät ist der Bewegungsbedarf entwicklungsbedingt, ähnlich wie bei Erwachsenen, nicht mehr so stark. Trotzdem sollten Jugendliche und Erwachsene nicht länger als ca. 20 Minuten stillsitzen.

So viel Sitzen wie nötig, so viel Positionswechsel und Bewegung wie möglich Deswegen sind folgende Fragen hinsichtlich entwicklungsgerechter und stressfreier Arbeits- und Lernbedingungen für zu Hause von besonderer Bedeutung: Lassen Räume und Möbel ausreichend Raum für flexible Verhaltensweisen? Lassen Räume immer wieder neue Haltungs- und Handlungsspielräume zu? Lernen und Arbeiten muss ein bestimmtes Maß an körperlicher Aktivität einschließen. Nur so bleiben Körper, Geist und Seele (Wohlbefinden) in der Balance.

Die nächste Körperposition ist immer die beste

Das offensichtlichste Merkmal von Lern- und Arbeitsorten, die für das Wohlbefinden aller Menschen gestaltetet sind, ist die Vielfalt an möglichen Wechselhaltungen und die Flexibilität der räumlichen Nutzung. Nur diese Voraussetzungen unterstützen sämtliche im Verlauf eines Lerntages erforderlichen Lernverhaltensweisen, die körperliches und geistiges Wohlbefinden und somit den Lehnerfolg ermöglichen. Das bedeutet eine Auswahl an Lernplatzbedingungen, die Heranwachsende spontan dazu animieren, in verschiedenen Positionen auf dem Boden zu kauern, aktiv-dynamisch zu sitzen, zu stehen und sich zu in den Räumen bewegen zu dürfen.

Der beste Platz für das Lernen der Kinder zu Hause ist überall
Das gesamte häusliche Umfeld sollte so ange-legt sein, dass Heranwachsende wie auch Er- wachsene immer wieder zu Wechselhaltungen, Ortsveränderungen und vielfältigen Arbeitsfor- men angeregt werden.

Veränderungen der Arbeits- und Lernumgebung ändern auch die Wahrnehmung und das Verhalten. Erfolgreiches Lernen für Kinder braucht deswegen mehr als nur ein Kinderzimmer oder einen Stuhl am Esszimmertisch. Ein variabler, mit unterschiedlichen Möbeln ausgestatteter Raum ermöglicht unterschiedliche Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten wie etwa konzentrierte

  • Einzelarbeit,
  • Rückzugsbereiche zum Lesen oder soziale Netzwerkaktivitäten oder
  • das gemeinsame Lernen mit den Eltern.

So gestalten wir heimische Lernbedingungen verhaltensgerechter und bewegungsfreundlicher und somit auch kindgerechter. Überall ist ein guter Platz zum Lernen, deshalb sollten auch alle Flächen im Innen- und wenn vorhanden im Außenbereich genutzt werden. Durch flexibel einsetzbares Mobiliar wie Hocker, Sitzkissen oder Matten kann beispielsweise auch eine Terrasse, der Balkon oder sogar der Garten einbezogen werden.

Und Kinder brauchen mehr!

Die von uns für den häuslichen Bereich gemachten Empfehlungen können nur eine Ergänzung zu den Forderungen nach freiem Spielen und Bewegen von Kindern in einer natürlichen Umgebung darstellen. Natur ist insofern von großer Bedeutung, da sie insbesondere für die jüngeren Kinder auf kleinstem Raum eine Fülle von kindgemäßen Erfahrungen und Nutzungsmöglichkeiten aufweist. Die Natur bietet neben reichhaltigen Sinnes- und Bewegungserfahrungen auch eine angenehme Atmosphäre, in der sich Kinder wohl fühlen. Kinder von unterschiedlicher Persönlichkeit, Alter und Geschlecht fühlen sich hier angesprochen sich durch das Gelände „hindurchzuspielen“.

Dabei werden...

  • kreatives Spiel, Sozialverhalten und Kommunikation gefördert,
  • vielfältige Sinnes- und Bewegungserfahrungen ermöglicht,
  • die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft spielerisch erlebt ,
  • überschaubare Risiken und Gefahren zugelassen,
  • die wichtige Fähigkeit zu planen, zu entwickeln, auszuführen und zu verändern gefördert.

Zum Autor:

Dr. Dieter Breithecker ist Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e. V. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Gestaltung von Lern- und Arbeitsräumen mit dem Ziel, Räume bewegungsfreundlicher zu gestalten.
Hier berät er die auch die Möbelindustrie, ihren Beitrag zu leisten. Er sitzt gern einmal „gegen den Strom“.