item Blog : Ulrich Kuhnt hat sich als Autor, Speaker und Coach auf das Thema Rückengesundheit spezialisiert.
Der Sportpädagoge ist Mitglied des Direktoriums des Bundesverbandes deutscher Rückenschulen (BdR) e.V. und Inhaber der Rückenschule Hannover.
item: Der Begriff „Rückenschule“ suggeriert einen großen Lernbedarf. Steht Ergonomie in der Produktion in vielen Unternehmen nicht im Lehrplan?
Ulrich Kuhnt: Rückenschule und Ergonomie sind nicht das Gleiche. Rückenschule umfasst die Verhaltens- und Verhältnisprävention. Die Verhaltensprävention konzentriert sich auf das individuelle Verhalten von Personen. Rückenfreundliches Heben und Tragen, Durchführen von gymnastischen Ausgleichs- und Entspannungsübungen sowie regelmäßige körperliche Aktivitäten sind Beispiele für individuelle Verhaltensweisen.
Die Ergonomie gehört eher zur Verhältnisprävention. Hier wird das ergonomische und organisatorische Umfeld beleuchtet. Dazu zählen die Gestaltung von Sitz- und Steharbeitsplätzen, der Einsatz von Hebe-Tragehilfen oder der regelmäßige Wechsel der Arbeitsaufgaben. Ergonomie ist für Arbeitsmediziner, Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsplatzgestalter ein zentraler Inhalt in der Aus- und Fortbildung.
item: Was sind laut Ihrer täglichen Erfahrung die häufigsten Probleme, die durch mangelnde Ergonomie entstehen?
Ulrich Kuhnt: Mangelnde Ergonomie zeigt sich oft in ungünstigen Zwangshaltungen beim Sitzen, Stehen, Bücken und Heben. Dies führt zu Beschwerden und langfristig auch zu Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems. Neben einer Minderung von Produktqualität und Produktivität wird dadurch auch die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter beeinträchtigt.
item: Hat Ergonomie bei Werkern und Entscheidern im industriellen Umfeld immer noch mit dem Vorurteil zu kämpfen, ein Wohlfühlprogramm für Büroarbeiter zu sein?
Ulrich Kuhnt: Diese Vorurteile kann ich für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht bestätigen. Großbetriebe sind beim Thema Ergonomie sowieso schon einen Schritt weiter. Insgesamt hat sich die Sensibilität für ergonomische Maßnahmen in den vergangenen Jahren auch im industriellen Bereich erheblich erhöht. Diesen Prozess haben hauptsächlich Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und die Erkenntnisse über den demografischen Wandel beschleunigt. Allerdings gibt es noch große Defizite bei der konkreten Umsetzung der vorhandenen ergonomischen Erkenntnisse.
item: Was sind die unmittelbaren und langfristigen Folgen, wenn Unternehmen sich nicht nachhaltig für ergonomische Arbeitsbedingungen einsetzen?
Ulrich Kuhnt: Die Forderung nach ergonomischen Arbeitsbedingungen ist rechtlich klar definiert im Arbeitsschutzgesetz. Ein Arbeitgeber muss sich um ergonomische Arbeitsplätze kümmern. Darüber hinaus wird ein Unternehmen, das sich nicht um die Ergonomie kümmert, langfristig am Markt nicht bestehen können. Die Krankheitstage steigen, qualifizierte Mitarbeiter machen einen großen Bogen um diese Firma, die Produktqualität und die Effizienz sinken.
item: Welche Wirkung hat ein hochwertiges Arbeitsplatzsystem auch psychologisch auf den Mitarbeiter?
Ulrich Kuhnt: Ein hochwertiges Arbeitsplatzsystem allein ist psychologisch noch nicht wirksam. Erst wenn der Mitarbeiter die Vorteile für seine Gesundheit und den Arbeitsprozess versteht, steigert sich die Arbeitszufriedenheit. Somit sollte eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung gleichzeitig mit einer umfassenden theoretischen und praktischen Schulung und Einweisung des Mitarbeiters gekoppelt werden. Er muss als Experte an seinem Arbeitsplatz beteiligt werden.
item: Warum ist es wichtig, zwischen ergonomisch effizienter und schnellerer Arbeit zu unterscheiden?
Ulrich Kuhnt: Die Forderung nach „schneller Arbeit“ ist sehr einseitig und kurzsichtig. Schnelle Arbeit kann zu Qualitätsmängeln und langfristig zu gesundheitlichen Erkrankungen führen. Ergonomisch effiziente Arbeitsplätze sind die Grundlage für Qualität, Effizienz und Gesundheit.
item: Reichen ergonomische Arbeitsbedingungen zum langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit aus oder müssen wir uns ganz eigenverantwortlich mehr um unsere Rückengesundheit kümmern?
Urlich Kuhnt: Ergonomische Arbeitsbedingungen sind ein Baustein zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit. Weitere Bausteine sind z. B. Arbeitsorganisation, Führungsverhalten und individuelle Voraussetzungen des Mitarbeiters. Um die körperliche und geistige Fitness muss sich jede Person auch eigenverantwortlich kümmern.
item: Wie viel Zeit sollte jeder Einzelne pro Tag in die eigene Rückengesundheit investieren?
Ulrich Kuhnt: Mir geht es nicht um Minuten oder Stunden, sondern um die grundsätzliche Sensibilität und Einstellung zur eigenen Gesundheit. Jede Person sollte bereit sein, am Arbeitsplatz und in der Freizeit auf seine Rückengesundheit zu achten. Eine rückenbewusste Person achtet auf günstige Körperhaltungen, vermeidet Bewegungsmonotonie oder Zwangshaltungen, ist körperlich regelmäßig aktiv und sorgt für eine psychische Balance zwischen An- und Entspannung.
item: Inwieweit können Mitarbeiter aktiv in die ergonomische Optimierung ihrer Arbeitsplätze eingebunden werden?
Ulrich Kuhnt: Mitarbeiter sollten unbedingt in die ergonomische Optimierung ihrer Arbeitsplätze eingebunden werden. Dies kann geschehen durch das betriebliche Vorschlagswesen, Qualitätsworkshops, Ergonomie-Workshops, Gesundheitsgespräche, Arbeitssituationsanalysen, Gesundheitszirkel und Gesundheitstage. Ergonomische Schulungen mit theoretischen und praktischen Inhalten sind sehr effektiv.
item: Können Sie uns einige Ihrer Lieblingsübungen nennen, die sich effektiv in kurze Pausen oder die Routine am Morgen integrieren lassen?
Ulrich Kuhnt: Das sind meine Lieblingsübungen:
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Rückenschule Hannover.
Quelle: Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog der item Industrietechnik GmbH
Das Projekt "ErgoKita" hat die Belastungssituation des pädagogischen Personals in Kindertageseinrichtungen untersucht. (Bild: IFA) Projekt ErgoKita reduziert Belastungen von Erziehungskräften
DGUV 12.05.2015 Die oft körperlich belastendenden Arbeitsbedingungen in Kitas sind ein Dauerthema in der öffentlichen Diskussion. Aktuelle Daten zu Muskel-Skelett-Belastungen bei Erzieherinnen und Erziehern fehlen allerdings in Deutschland. Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) hat mit mehreren Projektpartnern die Belastungssituation des pädagogischen Personals untersucht. In der Folge wurden Maßnahmen entwickelt, die wirksam helfen, Beschwerden und Erkrankungen vorzubeugen. Die Ergebnisse des sogenannten ErgoKita-Projekts liegen jetzt vor: www.dguv.de, Webcode: d1059791 .
Etwa 530 000 Personen arbeiten in Deutschland in der vorschulischen Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Die Anforderungen an diese Berufsgruppe steigen mit dem Ruf nach mehr Qualität in der Erziehungsarbeit. Gleichzeitig nimmt auch die Zahl der unter Dreijährigen in Tagesbetreuung zu.
Vor diesem Hintergrund hat das IFA gemeinsam mit dem Institut für Arbeitswissenschaften der TU Darmstadt und dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt die gesundheitliche Situation von Erzieherinnen und Erziehern in Kitas untersucht. "Mit Messungen und Befragungen haben wir zunächst ermittelt, in welchem Umfang das Muskel-Skelett-System an diesen Arbeitsplätzen belastet ist und welche Arbeitsbedingungen dafür Ausschlag gebend sind", sagt Professor Rolf Ellegast, stellvertretender IFA-Leiter. "Dann sind wir noch einen Schritt weiter gegangen, haben in sechs Einrichtungen beispielhaft Veränderungen vorgenommen und anschließend noch einmal geschaut, welchen Effekt diese Interventionen in der Praxis tatsächlich haben".
So ist es den Forschern gelungen, einen Katalog von Maßnahmen zu identifizieren, die Muskel-Skelett-Belastungen im Kita-Alltag erfolgreich vorbeugen. Sie reichen von ergonomischen Möbeln, die Zwangshaltungen verhindern, über feste Funktionsräume, die Umräumarbeiten reduzieren, bis hin zu Verhaltensschulungen als Hilfe zur Selbsthilfe. In jedem Einzelfall wurde darauf geachtet, dass die gewählten Maßnahmen in das pädagogische Konzept der Kita passten und eng mit den Erziehungskräften abgestimmt waren.
Nicht nur die Vorher-/Nachher-Messungen belegen, dass sich ungünstige Körperhaltungen so nachhaltig vermeiden lassen; auch die Erzieherinnen und Erzieher bestätigen diesen Eindruck. Ellegast: "Die Kita-Beschäftigten sprechen sogar von positiven Effekten für ihr Gesundheitsbewusstsein generell, also auch außerhalb des Arbeitsplatzes. Das ist für uns ein ganz besonderer Erfolg!"
Die Projektergebnisse lassen sich für die Praxis auf vielfältige Weise aufbereiten: zum Beispiel für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, in Form von Checklisten zur Gefährdungsbeurteilung oder als Handlungshilfe für die gesundheitsgerechte Kita-Gestaltung. Aktuell sind sie Grundlage für den Bau einer ergonomischen Muster-Kita, die die Unfallkasse Rheinland-Pfalz mit einem städtischen Träger baut.
Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
Lire la suite