Im Laufe der Evolution hat sich für uns Menschen etwas ganz Entscheidendes geändert: wir haben den aufrechten Gang erlernt. Menschen sind nicht immer auf zwei Beinen durch’s Leben gelaufen. Daran musste sich auch unsere Wirbelsäule und der gesamte Bewegungsapparat erst einmal gewöhnen.

Mittlerweile stellt das Laufen lernen in der Entwicklung eines Kindes einen wichtigen Meilenstein dar, der Eltern stolz macht. Freudestrahlend werden die ersten Gehversuche auf Fotos und Videos festgehalten und mit ein bisschen Übung ist es fast so, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Gehen ist also etwas ganz Natürliches, bei dem wir nichts falsch machen können, oder? Wozu gibt es dann eigentlich Rückenschulen? Wir haben für euch den Experten gefragt! Ulrich Kuhnt ist Mitglied des Direktoriums im Bundesverband deutscher Rückenschulen (BdR) e. V., Sportwissenschaftler, Gesundheitsberater in Betrieben und Leiter der Rückenschule Hannover. Er erklärt uns, was das Ziel einer Rückenschule ist und was euch dort erwartet:

Rückenexperte Ulrich Kuhnt

Was passiert in einer Rückenschule?

Grundsätzlich geht es in einer Rückenschule natürlich nicht darum, stillzusitzen. Unser Ziel ist es vielmehr, dies immer häufiger zu umgehen. Was wir mit einer Schule gemeinsam haben? Wir vermitteln Wissen in Theorie und Praxis. Am liebsten erkläre ich das an einem 4-Säulen-Modell. Diese vier Säulen sind die Eckpfeiler dessen, was wir in der Rückenschule vermitteln. Gleichzeitig sind sie unsere Verhaltensempfehlungen für einen gesunden Rücken.

1. „Achte auf deine Körperhaltung und Bewegungsabläufe.“

Die erste Säule setzt sich mit der physiologischen oder einfach ausgedrückt, mit der aufrechten Körperhaltung auseinander und beachtet dabei die natürliche Doppel-S-Form der Wirbelsäule. Es geht darum, günstige Haltungs- und Bewegungsmuster des Alltags zu erlernen oder auch einfach wieder bewusst zu machen. Nachdem wir die Inhalte theoretisch besprochen haben, werden sie praktisch trainiert. Wir beschäftigen uns damit, rückengerecht zu sitzen, zu stehen oder zu liegen, Gegenstände zu heben und sie zu tragen. Natürlich dürfen dabei auch ergonomisch gestaltete Hilfsmittel nicht fehlen, die unserem Bewegungssystem bei gewissen Tätigkeiten helfen.

2. „Keine Haltung ist so gut, dass sie lange eingehalten werden sollte.“

Die zweite Säule beschäftigt sich mit dem Wechsel der Haltung und der Bewegung. Ganz egal ob du im Büro bist, Auto fährst oder abends auf der Couch liegst – keine Haltung ist so gut, dass du sie lange einhalten solltest. Sitzen gilt schon lange als das neue Rauchen, da Monotonie für den Rücken schnell zum Problem werden kann. Daher ist es besonders wichtig, dass du auf einen kontinuierlichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Bewegen achtest. Vielfalt und Abwechslung sind der Schlüssel für eine verbesserte Rückengesundheit. Auch hier können wir auf ergonomische Unterstützer zurückgreifen: ergonomische Bürostühle für dynamisches Sitzen, höhenverstellbare Arbeitstische oder eine entsprechende Matratze helfen dir bei einer Entlastung. Je vielfältiger und abwechslungsreicher, desto besser!

3. „Üben, üben, üben!“

Unser Körper ist ein faszinierendes Zusammenspiel verschiedener Strukturen. Knochen, Gelenke, Muskeln, Sehnen, Nerven, Faszien – sie alle spielen zusammen und sorgen dafür, dass wir unseren Alltag meistern. Doch damit alles reibungslos klappt, benötigen sie entsprechendes Training in Form immer neuer Reize, Stimulationen und Bewegung. In der dritten Säule befassen wir uns daher mit verschiedenen Kräftigungs-, Dehn- und Koordinationsübungen.

4. „Auch auf den Kopf kommt es an.“

Und dann wäre da noch die vierte Säule, denn alles Üben und Trainieren hilft nichts, wenn du nicht auch auf deine psychische Balance achtest. Das Ziel besteh darin, den Kopf wieder mit dem Körper in Einklang zu bringen. Es geht hierbei um die Psychosomatik hinter Rückenbeschwerden und darum, Stressoren, Ängste oder Sorgen zu erkennen. Denn diese wirken sich maßgeblich auf unseren Körper aus und triggern uns so, dass auch körperliche Reaktionen in Form von Rückenschmerzen zu spüren sind.

Diese vier Säulen fußen auf einem Fundament, das folgenden Ansatz verfolgt: In einer Rückenschule wollen wir die Sichtweise auf die Gesundheit und den eigenen Lebensstil positiv verändern. In unserem ganzheitlichen Präventionskonzept geht es immer um den ganzen Menschen. Dazu gehören auch Aspekte wie eine ausgewogene Ernährung. Indem wir sowohl unser Verhalten als auch das Umfeld analysieren und anpassen, verbessern wir die Funktionsweise des Körpers.

Was ist das Ziel einer Rückenschule?

Rückenschulen ist es ein zentrales Anliegen, dass die Personen sich wieder selbst spüren. Das klassische Kippeln in der Schule ist für mich der Beste Beleg dafür, warum es Rückenschulen überhaupt braucht: Kinder spüren viel mehr als Erwachsene, wann es Zeit ist, aktiv zu sein. Im Laufe der Zeit wurde uns dieser kindliche Bewegungsdrang immer weiter abtrainiert. Wir sollten wieder erkennen können, wann wir Bewegung brauchen, um so zu unserem natürlichen Bedürfnis nach körperlicher Bewegung zurückzufinden. Dabei können auch schon kleine Veränderungen hilfreich sein.

Du und dein Leben stehen im Mittelpunkt – ganz individuell

Es ist klar, dass das etwas sehr Individuelles ist. Habe ich einen Beruf, in dem ich körperlich anstrengende Arbeit verrichte, brauche ich für meinen Rücken andere Reize als jemand, der den ganzen Tag im Büro verbringt. Gemeinsam begeben wir uns daher auf die Suche nach Optionen, wo du im Alltag gut neue Reize und Impulse integrieren kannst.

Wie oft sollte ich eine Rückenschule besuchen?

Es geht uns hauptsächlich darum, dich zu einem dauerhaft bewegten Lebensstil hinzuführen. Wie oft und wie lange du eine Rückenschule besuchen solltest, ist daher sehr individuell. Hier spielt natürlich auch die Eigenmotivation eine große Rolle. Schließlich geht es um nachhaltige Veränderungen und das Erkennen von Verhaltensweisen. Ich empfehle meist den regelmäßigen Besuch von 1 x pro Woche für ca. 90 Minuten über ein Jahr.

Für wen ist die Rückenschule genau das Richtige?

Die Rückenschule ist für jeden geeignet. Hier geht es um einen Bildungsauftrag. Wir wollen die Kompetenz jedes Menschen verbessern, mit dem eigenen Körper achtsam und bewusst umzugehen.

Übrigens: Interessanterweise finden immer mehr Männer in die Rückenschule. Noch vor einiger Zeit war das anders, doch auch hier findet ein Umdenken statt. Männer öffnen sich für neue Themen, die früher als „weiblich“ beschrieben wurden. Sie werden weicher und offener gegenüber Neuem, psychischen Aspekten und ähnlichem. Es scheint ein Wertewandel, gerade in den jüngeren Generationen stattzufinden. Nun haben wir auch viele Herren, die in unseren Yoga oder Nordic Walking Kursen dabei sind. Da sah das Geschlechterverhältnis vor wenigen Jahren noch anders aus.

Wie melde ich mich an?

Die Wege in die Rückenschule sind ganz unterschiedlich. Einige Krankenkassen bieten ihren Versicherten verschiedene Kursangebote an. Auch Ärzte empfehlen häufig den Besuch einer Rückenschule. Häufig finden Personen aber auch einfach über Mund-Propaganda oder Angebote von Gesundheitsförderern und Arbeitsmedizinern den Weg zu uns. Vor allem im betrieblichen Bereich hat sich viel im Umgang mit Gesundheitsthemen verändert, Unternehmen sind zunehmend bereit, Gesundheitsthemen aufzugreifen.

Brauche ich ein Rezept oder eine Überweisung?

Nein, du kannst dich auch ohne ein Rezept oder eine Überweisung anmelden. Am einfachsten ist es zum Beispiel, wenn du im Internet nach Rückenschulen in deinem Umkreis recherchierst und dich anschließend über deren konkrete Angebote informierst.

Wer trägt die Kosten?

Bei der Teilnahme an ZPP-zertifizierten Kursen, also Kursen, die von der Zentralen Prüfstelle Prävention überprüft wurden, übernehmen die Krankenkassen zumeist zwischen 80 - 100 % der Kosten. Bei Rückenschulen ist diese Zertifizierung meistens auch die Regel.

Woran erkenne ich eine gute Rückenschule?

Es gibt ein paar Indikatoren für fachkundige Rückenschulen. Schließlich möchte man ja die eigene Gesundheit in Experten-Hand wissen. Hier meine Indikatoren:

  • Ist die Kursleitung Mitglied im Bundesverband deutscher Rückenschulen (BdR) e. V.?

  • Werden die Kurse von ausgewiesenen, fachkundigen und zertifizierten Experten geleitet (Sportpädagogen, Physiotherapeuten, Gymnastiklehrern, etc.)?

  • Bilden sich die Kursleiter regelmäßig und nach einheitlichen Qualitätskriterien fort?

  • Springt der Funke über – Sind die Kursleiter mit Leidenschaft und Fachwissen für die Sache dabei und fühlen Sie sich wohl?

Das alles klingt gut für dich? Dann mach dich gleich auf die Suche nach einer Rückenschule in deiner Nähe. BdR-Rückenschulexperten findest du zum Beispiel unter www.bdr-ev.de/almanach