Unser Leben stellt uns täglich vor vielfältige körperliche und mentale Herausforderungen. Wir wollen unserem Beruf und der Familie gerecht werden und begeben uns angesichts der Fülle der Aufgaben häufig in einen Modus, den man als „Autopiloten“ bezeichnen könnte. Wir achten nur darauf, „was“ wir tun. „Wie“ wir etwas tun, das überlassen wir einem Automatismus - dem Autopiloten. Vermeintlich verlässlich lotst er uns möglichst schnell von Aufgabe zu Aufgabe. Die ganzheitliche Methode der Alexander Technik hat das Ziel, diese Gewohnheiten zu erkennen und im positiven Sinne zu verändern. Wie die Technik genau funktioniert und wie sie dir helfen kann schmerzfrei zu werden oder Beschwerden vorzubeugen, das erfährst du in diesem Gastbeitrag von Alexander Technik-Lehrerin Teresa Brunnmüller.

Welche negativen Auswirkungen können Gewohnheiten haben?

Die Krux des Autopiloten ist: er kann ein fragwürdiges Eigenleben entwickeln. Weil er sich schlicht "normal" oder sogar "richtig" anfühlt, identifizieren wir ihn selten als Ursache von Beeinträchtigungen.

Doch genau dies ist der Fall, wenn wir verspannte Haltungen einnehmen und Dinge tun, ohne dass die Anspannung für die Aktivität tatsächlich notwendig wäre. Ein klassisches Beispiel aus dem Alltag ist die Haltung, mit der wir unseren Computer oder das Smartphone nutzen.

Doch nicht nur im Umgang mit Laptop oder Handy, sondern in allen Bereichen menschlicher Aktivität ist unser Autopilot anfällig für Störfaktoren: beim Schreiben, Schneiden von Gemüse, Geschirrspülen, beim Eilen zur Bahn, beim Kauen, Tennis spielen, beim Stehen, Wäscheaufhängen… In all diesen Situationen kann sich ein Übermaß an Spannung in Körper und Geist als Verspannung und Stress bemerkbar machen. Oft merken wir erst nach einem langen Zeitraum, zum Beispiel durch auftretende Nacken- oder Rückenschmerzen, dass irgendetwas grundlegend nicht in Ordnung ist.

Wenn wir die auftretenden Schmerzen als Einladung betrachten, unseren Autopiloten zu justieren, dann können wir nachhaltig zu unserer Gesundheit beitragen. Die spannende Frage ist:

Wie können wir aktiv Einfluss auf Gewohnheiten nehmen?

Routinen haben das Ziel, Handlungen im Alltag zu erleichtern. Aber wie kann man seine Gewohnheiten beeinflussen, sodass sie Gesundheit und Wohlbefinden fördern statt zu gefährden?

Die Alexander Technik bietet uns Antworten darauf. Sie lädt ein:

  • Den Zusammenhang zwischen der Art unseres Umgangs mit uns selbst (also „wie“ wir Dinge tun) und unserem Gesundheitszustand zu erkennen.

  • Einen Stopp zwischen Reiz und Reaktion einzulegen: nicht einfach in der gewohnten Weise auf eine Situation reagieren, sondern innezuhalten.

  • Aktivitäten bewusst so auszuführen, dass die natürliche Länge und Weite unseres Körpers gefördert wird. Der oder die Alexander Technik-Lehrer/in gibt die entsprechenden Indikationen.
    Dabei geschieht eine Aktivitäts-Verlagerung von einem Hirnareal in das andere: statt der für eingeübte Bewegungsmuster zuständigen Basalganglien (die aktiviert sind, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nur dem schenken, „was“ getan wird), wird bei der aktiven Beschäftigung mit dem „wie“ einer Bewegung der für bewusste Bewegungssteuerung zuständige Kortex aktiv.

Auf diese Weise ermöglicht uns die Alexander Technik, eine Art Umgehungsstraße für schädliche Bewegungsmuster zu etablieren und nachhaltig Verantwortung für unsere eigene Gesundheit zu übernehmen.

Wie wirkt die Alexander Technik?

In einer Alexander Technik Stunde sensibilisiere ich mit meinen Worten und Händen die Wahrnehmung meiner Schüler für den Organismus als Einheit aus Körper und Geist. Die Schüler sind eingeladen, ihre Wahrnehmung bewusst auszuweiten, Zusammenhänge zwischen Körperteilen wahrzunehmen und sich nicht von Einzelphänomenen (z.B. dem schmerzenden Rücken) absorbieren zu lassen.

Wir nutzen täglich häufig eingenommene Positionen wie Stehen, Sitzen und Liegen. Ich weise die Schüler auf unbewusste Muster hin, die ihre Bewegung begleiten. Sie werden angeleitet, bewusst innezuhalten und eine gewohnte Reaktion gänzlich ausbleiben zu lassen.

Durch das Wahrnehmen vorhandener Unterstützung (Boden, Stuhl oder "Tisch") können sie die Schwerkraft nutzen, Gewicht abgeben und nicht benötigte Spannungen auflösen.

Neuer Maßstab für Bewegungen und Ruhepositionen soll nicht mehr das Gewohnte sein, sondern die bewusste Ausrichtung an der natürlichen Länge und Weite unseres Körpers, die wir durch Verspannungen und Verkürzungen nicht unbewusst stören möchten. Das mechanisch günstige Zusammenwirken von Kopf, Hals und Rücken spielt in der Arbeit der Alexander Technik eine zentrale Rolle. Inwieweit wir inmitten unserer Aktivitäten einen „freien Hals“ bewahren, ist maßgeblich für eine (un-)günstige Kraftübertragung auf den unteren Rücken und das Zusammenspiel des Organismus als Ganzes.

Mit einem „freien Hals“ ist die sensible Region zwischen dem obersten Halswirbel und dem ca. 5 kg 1 wiegenden Kopf gemeint, welche nicht durch unangemessene muskuläre Spannungen und Verkürzungen oder Fehlhaltungen gestört wird.

Wenn er aufrecht auf der Wirbelsäule balanciert, anderen Falls kann der Kopf bis zu 25 kg wiegen!

Kann die Alexander Technik bei Rückenschmerzen helfen?

Die Umstellung durch die Alexander Technik in Richtung Achtsamkeit und körperlicher Gesamtkoordination ist ein Lernprozess. Er vermittelt so Grundlegendes, dass sämtliche Lebensbereiche von den positiven Veränderungen profitieren: Verspannungen und chronischen Schmerzen wie Nacken- oder Rückenschmerzen lösen sich, die Körperhaltung verbessert sich, wir erleben eine neue Leichtigkeit in Bewegungen, Entspannung und Stressbewältigung werden gefördert, die Atmung verbessert sich, wir erleben mehr Präsenz, Selbstbewusstsein und Lebensqualität.

Einige Studien, u.a. eine 2008 im British Medical Journal veröffentlichte, beschreiben die überragende Wirkung, die Alexander-Technik-Stunden für Menschen mit chronischen Rückenschmerzen im Vergleich zu Massage, leichter sportlicher Betätigung sowie „üblichen allgemeinmedizinischen Behandlungen“ hat. Ihre große Stärke ist, dass sie Menschen nicht behandelt,sondern ihnen eine Fähigkeit vermittelt, die sie selbst anwenden können.

Aus eigener Erfahrung als frühere Leidtragende, in der heutigen Arbeit mit meinen Schülern sowie aus Erfahrungsberichten von Kollegen kann ich sagen: Es ist ein in vielerlei Hinsicht ein befreiender Schritt, wenn wir Verantwortung für unser Handeln übernehmen und erkennen, dass wir zu jedem Zeitpunkt entscheiden können, wie wir reagieren möchten – auch entgegen der Gewohnheit. Das auf bewusste Weise erlernte koordinierte Zusammenwirken unseres Organismus als Ganzes wird sich in einer neuen Mühelosigkeit manifestieren, die uns schrittweise zu immer mehr Gesundheit und Wohlbefinden führt.

Ein Verzeichnis aller in Deutschland tätigen Lehrer der F.M. Alexander Technik ist auf der Seite des Alexandertechnik Verbands Deutschland (ATVD e.V.) zu finden.

Über die Autorin

Teresa Brunnmüller kam 2017 über starke Nackenschmerzen, die bis zur Unbeweglichkeit geführt hatten, zur Alexander Technik. Sie machte die Erfahrung, dass einzelne Symptome verschwinden, wenn der gesamte Organismus in seiner Funktionsweise nicht mehr gestört wird – was sie so sehr beeindruckte, dass sie 2019 die Ausbildung zur Lehrerin der F.M. Alexander Technik begann. Es ist heute ihr Anliegen, Menschen Wege aufzuzeigen, wie sie die eigenen Kräfte bewusst und effizient einsetzen und somit eigenständig ihre Gesundheit und Lebensqualität fördern können.

Kontakt: www.muehelosigkeit.de

Bildrechte: Patrick Zimmermann

Bei diesem Blog-Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag, der nicht zwingend die Meinung der Redaktion der Aktion Gesunder Rücken e. V. wiedergibt.