Gastbeitrag von Alexander Seifried
Fühlst du dich häufig gestresst oder hast du regelmäßig Rückenschmerzen? Solltest du eine der beiden Fragen mit Ja beantwortet haben, ist die Wahrscheinlichkeit leider hoch, dass auch die andere Aussage zutrifft. Wusstest du, dass 84% aller Menschen im Laufe ihres Lebens unter Rückenschmerzen leiden (1)? Betrachtet man nun noch die Tatsache, dass auch die Stressbelastung immer mehr zunimmt, ist es auf einmal gar nicht mehr so abwegig, dass ein Zusammenhang besteht. Ist uns dies aber erst einmal bewusst, gibt es eine Menge Übungen, mit deren Hilfe wir aus dem Teufelskreis zwischen Stress und Rückenschmerz entkommen können. Mit meiner Hilfe wirst du zum Profi im Stress- und Schmerzmanagement!

In welcher Beziehung stehen Stress und Rückenschmerz?

Häufig ist uns ein direkter Zusammenhang auf den ersten Blick gar nicht ersichtlich. Dennoch stellen Stress und Schmerz sowohl Symptom als auch Ursache in einem komplizierten, rückgekoppelten System dar. Das sogenannte biopsychosoziale Modell (1) erklärt, dass neben biologischen Ursachen auch immer psychologische und soziale Aspekte für die Entstehung von muskulären Beschwerden verantwortlich sein können. Und der zentrale Treiber unserer körperlichen Verfassung ist uns wohl allen bekannt: Stress.

Dass Anspannungen durch Überbelastung und andauernde Fehlhaltungen zu Rückenschmerzen führen ist nachvollziehbar. Viele Studien konnten jedoch nachweisen, dass neben diesem körperlichen Stress auch psychischer Stress an der Schmerzentstehung beteiligt ist (2). Stress ist dabei nicht zwingend negativ zu bewerten, er kann in einem bestimmten Rahmen durchaus eine positive Wirkung haben. Entscheidend ist die Summe aller Faktoren, die Stress auslösen. Diese sind individuell verschieden und können sehr vielfältig sein (1).

Wie Stress zu Schmerz wird

Ist der wahrgenommene Stress zu gering, kann dies sogar zu negativen Aspekten wie Leistungsschwäche führen (3). Häufig ist aber nicht der Mangel, sondern vielmehr ein Überschuss an Stress eine Herausforderung für uns und unseren Körper. Eine erhöhte Last durch Überbeanspruchung ist die Folge, diese geht einher mit einem Abbau von Körperfunktionen, zum Beispiel im Nervensystem. Die Leistungen unseres Körpers sinken demnach sowohl bei einem zu geringen als auch einem zu hohen Stressniveau.

Die Schnittstelle zwischen physischem Schmerz und psychischem Stress entsteht durch verschiedene Mechanismen. So verändert Stress über verschiedene Wege unsere Wahrnehmung, Verarbeitung und Interpretation von Schmerzen sowie die Aktivität des Nervensystems und die Schmerzsensitivität (1). Stress kann also durchaus Einfluss auf die Entstehung körperlicher Schmerzen nehmen und bildet somit einen Ansatzpunkt für deren Behandlung.

Wie Schmerz zu Stress wird

Die Beziehung zwischen den beiden Komponenten ist jedoch keine Einbahnstraße. Leiden wir unter körperlichen Schmerzen, kommt es nicht selten auch zu noch mehr psychischen Stress. Studien kamen sogar zu dem beeindruckenden Ergebnis, dass sich Gehirnareale von Patienten verändern, wenn sie unter chronischen Rückenschmerzen leiden. Eine Vielzahl von psychologischen Auswirkungen kann die Folge sein, unter anderem:

  • Ängste und Depressionen
  • Verringerte Aufmerksamkeit
  • Verminderte Wahrnehmung körpereigener Signale
  • Gedächtnis- und Konzentrationsschwäche
  • Verändertes Schlafverhalten

Diese Auswirkungen machen uns deutlich, dass Schmerz nicht nur körperliche Einschränkungen, sondern auch psychischen Stress verursachen kann. Dieser Stress wiederum setzt dann unsere Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen herab. Ein selbstverstärkender Kreislauf entsteht, der viele Betroffene vor große Herausforderungen stellt (1).

Damit der Ausbruch aus dem Teufelskreis gelingen kann, wird immer häufiger die Kontrolle des Nervensystems in das Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt, vor allem der sogenannte Nervus Vagus.

Was ist der Nervus Vagus?

Der Nervus Vagus ist der wichtigste Nerv in dem Teil unseres Nervensystems, der die Entspannung und Regeneration unseres Körpers steuert. Er ist mit dem gesamten Körper verzweigt und seine Fasern sorgen für die Funktion innerer Organe sowie die Vermittlung entzündungshemmender Signale. Eine weitere zentrale Aufgabe des Nervus Vagus ist die Wahrnehmung und Regulation der inneren Zustände.

Da Entzündungen auch bei Rückenschmerzen ein wichtiger Bestandteil der Beschwerden sind und eine gestörte Wahrnehmung durch (schmerzbedingten) Stress auftreten kann, nimmt der Vagusnerv bei Rückenschmerzen eine Schlüsselrolle ein. Er ist ein wichtiger Ansatzpunkt für die Behandlung. Die gezielte Aktivierung des Nervs kann zu einer verminderten Entzündungsreaktion und geringerer Schmerzempfindlichkeit führen (4).

Wie du dem Teufelskreis entkommen kannst

Den Nervus Vagus können wir durch viele verschiedene Übungen stimulieren. Die Spannungsverhältnisse werden so reduziert und die Schmerzwahrnehmung und –Verarbeitung gesteuert. Hier findest du einige Beispiele, die sich ideal zur Selbstanwendung eignen:

SCM Flipping

Drehe deinen Kopf zur linken Seite und platziere zwei Finger hinter dem SCM-Muskel (siehe Foto). Durch schnappartige Bewegungen (10-15 Mal) mobilisierst du den Muskel. Das Ganze wiederholst du durch eine Kopfdrehung nach rechts. Alternativ kann der Muskel getaped werden, auch dies führt zu einer Stimulation.

Klopfen oder massieren des Nervus Vagus

Der Nerv ist wie beschrieben mit dem gesamten Körper verzweigt. Einige Bereiche, an denen er verläuft, eignen sich besonders zu seiner Stimulation. Sanftes Klopfen oder massieren von Schlüsselbein, linker Brusthöhle und Bauchraum (siehe Fotos) kann zu positiven Effekten führen. Du solltest dir für jeden Bereich circa 30 Sekunden Zeit nehmen,  auch eine Vibration kann eingesetzt werden.

Vagus-Atmung in Rückenlage

Lege dich flach auf deinen Rücken und achte bei dieser Übung auf betonte Ausatmung und lange Atemzyklen. Ideal wäre folgender Rhythmus:

  • 2 Sekunden tiefes einatmen
  • 8 Sekunden ausatmen

Fazit

Stress und Schmerz bilden einen komplexen Mechanismus, den wir durch die Aktivierung des Vagusnervs unterbrechen können. Mit Hilfe von Stimulationen des Nervs haben wir die Möglichkeit, Spannungsverhältnisse zu reduzieren und die Schmerzwahrnehmung und –Verarbeitung  zu steuern.

Alexander Seifried
M.Sc. klinische Sportphysiologie und Sporttherapie
www.sanogym-ulm.de
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Literatur
(1) Int J Environ Res Public Health. 2018 Apr; 15(4): 785 Published online 2018 Apr 18. doi: 10.3390/ijerph15040785
International Journal of Environmental Research and Public Health „Stress and Alterations in the Pain Matrix: A Biopsychosocial Perspective on Back Pain and Its Prevention and Treatment“
Pia-Maria Wippert and Christine Wiebking
(2) Acta Chir Orthop Traumatol Cech 2018;85(3):216-218. „Causal Relation of Psychical Stress to Acute Back Pain“ L Hajnovic 1 , S Knöller, L Schütz
(3) B.S. McEwen, E. Stellar: Stress and the individual. Mechanisms leading to disease.. In: Archives of Internal Medicine. 153, Nr. 18, 27. September 1993, S. 2093–101. doi:10.1001/archinte.153.18. PMID 8379800. Zitiert nach Wikipedia
(4) „Neuronale Heilung“: Mit einfachen Übungen den Vagusnerv aktivieren – gegen Stress, Depressionen, Ängste, Schmerzen und Verdauungsprobleme Taschenbuch – Riva 2019 S.17ff Lars Lienhard, Ulla Schmid-Fetzer, Dr. Eric Cobb; ISBN-10 ‏ : ‎ 3742311344